Bei der EU hat man die Zeichen der Zeit erkannt – bald sollen Gründer in die Lage versetzt werden, online ein neues Unternehmen gründen zu können. Wie genau das funktionieren soll, welche Rechtsformen davon betroffen sind und was die Auswirkungen für deutsche Notare sind, klären wir im Gespräch mit Dr. Peter Schaub, einem Rechtsanwalt aus Fulda.
OREXES: Wie ist denn der aktuelle Stand bei den Kapitalgesellschaftsgründungen rein über das Internet?
Dr. Peter Schaub: “Der europäische Musterschüler in Sachen Digitalisierung ist Estland, das bereits seit einiger Zeit die Gründung einer Kapitalgesellschaft rein über das Internet zulässt. Der Rekord zwischen Beginn des Gründungsverfahrens und Eintragung der Gesellschaft soll dort bei rund 18 Minuten liegen – eine unglaubliche Geschwindigkeit im Vergleich zu Deutschland, wo eine Gründung bis zu 4 Wochen dauern kann.”
OREXES: Und das soll jetzt auch in Deutschland möglich sein?
Dr. Peter Schaub: “Den estnischen Rekord hat die Europäische Union zwar nicht als Ziel ausgegeben, allerdings gleichwohl eine zeitliche Vorgabe für die Online-Gründung gemacht: So soll die Online-Eintragung innerhalb von fünf Arbeitstagen nach Einreichung der Handelsregisteranmeldung und Zahlung des Stammkapitals möglich sein.”
OREXES: Für wen genau ist das jetzt gültig?
Dr. Peter Schaub: “Das Verfahren gilt für alle Bar-Gründungen von GmbHs; Sacheinlagen sind hingegen ausgeschlossen. Der europäische Rechtsrahmen ließe sogar die Online-Gründung einer Aktiengesellschaft zu. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber von der Möglichkeit des Opt-outs Gebrauch machen wird und die neuen Regelungen auf die GmbH beschränkt bleiben.”
OREXES: Wem könnte das einen Nutzen bringen?
Dr. Peter Schaub: “Die Europäische Union will mit mehr Digitalisierung im Gesellschaftsrecht weitere Handelshemmnisse in Europa abbauen. Die Online-Gründung ist vor allem für Gründer aus dem Ausland attraktiv, da eine Anreise in das Land der neuen Gesellschaft entbehrlich wäre.”
OREXES: Was wird dann aus dem Berufsstand der Notare?
Dr. Peter Schaub: “Die Mitwirkung des Notars bleibt in Deutschland aber auch zukünftig erhalten. Die EU lässt den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie einen weiten Umsetzungsspielraum, so dass Deutschland an dem Prinzip der vorsorgenden Rechtspflege festhalten und dieses weiterentwickeln kann. Der Notar soll über eine Video-Konferenz mit dem Bürger eine Online-Beurkundung durchführen können. Hierzu hat die Bundesnotarkammer bereits ein Portal entwickelt, das es möglich macht, die Gründer zu beraten und zugleich zu identifizieren.Das aus der Eröffnung von Bankkonten bekannte Online-Identverfahren, bei welchem der Personalausweis des Kontoinhabers in die Kamera gehalten wird, gewährleistet dafür keine hinreichende Sicherheit. Daher wird für die Online-Beurkundung ein Personalausweis mit Online-Ausweisfunktion oder ein anderes Identifizierungsmittel der höchsten Sicherheitsstufe nach der eIDAS-Verordnung (über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt) notwendig sein.”
OREXES: Wie läuft das dann genau ab?
Dr. Peter Schaub: “Der Notar wird die Echtheit des Personalausweises verifizieren und das hinterlegte Lichtbild abrufen können. Der Gründer benötigt hierfür nicht einmal ein gesondertes Kartenlesegerät. Über ein sicheres Kommunikationsverfahren soll ein NFC-fähiges Mobiltelefon die erforderlichen Daten drahtlos und ohne weitere Zwischenschritte von dem Personalausweis auslesen. So wird der Gründer hinreichend identifiziert. Mehr kann der Notar auch in einem Vor-Ort-Termin nicht leisten. Statt einer klassischen Unterschrift – wie bei Notarterminen sonst üblich – unterzeichnet der Gründer mittels qualifizierter elektronischer Signatur. Er erhält eine TAN, die auf das Mobiltelefon gesendet und dann über das Internetportal, worüber die Videokonferenz abgehalten wird, eingegeben wird.”
OREXES: Was passiert, wenn der Notar Zweifel hat?
Dr. Peter Schaub: “Hat der Notar Zweifel an der Identität oder sonstige Bedenken (z.B. hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit), kann er die Online-Beurkundung ablehnen und stattdessen einen Termin zur herkömmlichen Beurkundung verlangen. Seine Beratungs- und Warnfunktion sowie die Filter- und Kontrollfunktion werden somit keineswegs abgeschafft. Vielmehr wird die vorsorgende Rechtspflege, die in Deutschland allgemein als wichtige Rechtstradition verstanden wird, in die digitale Welt verlagert – eine organische Weiterentwicklung der bewährten Rechtstradition.”
OREXES: Was muss sich sonst verbessern?
Dr. Peter Schaub: “Ein Bankkonto für eine Gesellschaft zu eröffnen, ist noch ungleich aufwändiger als für eine natürliche Person. Auch in diesem Punkt ist der Gesetzgeber gefragt: Es braucht Lösungen, die eine zeitnahe Einrichtung eines Bankkontos und die Kommunikation zwischen Kreditinstitut und Notar ermöglichen.”