Das Leben in der Hauptstadt ist hip und modern, in Berlin-Mitte trifft sich die Elite des Landes – doch die Provinz ist langfristig vielleicht attraktiver. Ein Kommentar.
Viele Dinge ändern sich, viele Dinge ändern sich sogar ganz rasant. Das mag zum Teil mit der Digitalisierung zu tun haben, auch mit Globalisierung und einer immer komplexer werdenden Welt, in der man schnell die Übersicht verlieren kann. Das bleibt für die Politik auch nicht ohne Konsequenzen: Die beiden einstigen Volksparteien CDU und SPD haben massiv an Stimmen und Glaubwürdigkeit verloren, die aktuell regierende große Koalition hat miserable Zustimmungswerte. Es wird intensiv über das Menschenrecht “Wohnen” diskutiert, für das Menschen mehr als ein Drittel ihres Einkommens ausgeben müssen, weil die Mieten exorbitant hoch sind. Es wird allen Ernstes darüber gesprochen, ob das Engagement junger Menschen für mehr Klimaschutz überhaupt legitim ist. Gleichzeitig realisiert ein Großteil der Öffentlichkeit nach dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, dass rechtsextremer Terror in Deutschland vielleicht doch ein größeres Problem sein könnte als bisher gedacht – der NSU scheint schon wieder vergessen worden zu sein.
Viele Lösungen für diese Probleme können in Berlin-Mitte angegangen werden, im Regierungsbezirk, wo gut ausgebildete Menschen über die Zukunft Deutschlands entscheiden. Berlin ist hip, Berlin ist modern und Berlin trifft die Entscheidungen – aber wie repräsentativ ist die Hauptstadt für den Rest des Landes? Fest steht, dass der Graben zwischen den “Provinzlern” und den Menschen in Berlin-Mitte so groß ist wie nie zuvor. Die “taz” schrieb dazu vor einigen Tagen: “Berlin-Mitte ist so weit wie lange nicht entfernt von Ansprüchen und Vernunft der Bürger. (…) Allein mit Digital Natives aus dem Regierungsviertel, die aus ihrer urbanigen Berliner Sicht Konzepte, wie die Zukunft aussehen könnte, erstellen, wird der Wandel nicht gelingen.”
Die Provinz hat auch ihren Beitrag
Wie viel trägt Berlin zum wirtschaftlichen Erfolg des Landes bei? Sind es nicht eher die vielen Mittelständler in den vielen Regionen Deutschlands, die das Rückgrat dieses Landes bilden, Menschen Arbeit geben und das gesellschaftliche Spektrum jenseits der Latte-Macchiato-Fraktion in Berlin-Mitte kennen, sich in Feuerwehren und Sportvereinen engagieren und damit einen Mehrwert schaffen? Wie viele große Unternehmen haben ihren Hauptsitz in Berlin? Der Aufbau eines Unternehmens in einer Kleinstadt muss wieder attraktiver sein als der unbefristete Job in einer Berliner Agentur. Die langfristige und nachhaltige Arbeit mit Kunden, auch in der Unternehmensberatung, muss möglich sein – auch ohne dafür vier Mal in der Woche in die deutschen Metropolen zu fliegen und Instagram-Bilder vom Lufthansa-Gangway zu schicken. Engagement für eine Region trägt auch dazu bei, dass Deutschland sich konstruktiv weiterentwickeln kann.