Bildung und Digitalisierung – geht das zusammen? Wir haben uns den Status Quo angeschaut und zehn Punkte notiert, die wir für wichtig erachten.
Bis 2023 sollen fünf Milliarden Euro für den Digitalpakt Schule ausgegeben werden. Jeder Schule kann sich dabei über Geld freuen – doch wird das Ganze auch zu etwas sinnvollem führen? Wie ist der aktuelle Stand der Dinge in Deutschland und welche Herausforderungen gibt es? Wir haben uns die Sache einmal genauer angeschaut.
Die klare Trennung zwischen einem Smartphone-Verbot in der Schule und der unreglementierten Nutzung in der Freizeit der Lernenden muss aufhören. (1)
Lehrkräfte verwenden viel Energie darauf, die Nutzung von Smartphones in den Pausen zu unterbinden, weil die Schule es so möchte. Gleichzeitig verwenden sie kaum Zeit dafür, um den Lernenden den sinnvollen Umgang mit den Geräten zu vermitteln.
Lehrkräfte müssen die Digitalisierung als Chance begreifen, nicht als Herausforderung oder gar Bedrohung. (2)
Die Digitalisierung bildet im Endeffekt nur das ab, was bereits in irgendeiner Form existiert. Das gelingt besser, einfacher und effizienter, aber etwas bahnbrechend Neues ist dadurch noch nicht entstanden. Alle Ängste sind daher unbegründet. Auch die Angst vor künstlicher Intelligenz ist zum jetzigen Zeitpunkt unbegründet, weil diese nur auf sehr schneller und sehr guter Mathematik beruht.
Der Digitalpakt Schule und das zur Verfügung gestellte Geld werden die Probleme, die Deutschland im Spannungsfeld zwischen Digitalisierung und Schulwesen hat, nicht beseitigen. (3)
Bis 2023 sollen etwa fünf Milliarden Euro in das deutsche Bildungswesen investiert werden. Die 40.000 deutschen Schulen werden dabei durchschnittlich mit einer Summe von mehr als 130.000 Euro bedacht werden können. Mit diesem Geld soll ein Gesamtkonzept umgesetzt werden, das sich gleichzeitig auf pädagogische Strategien, technische Umsetzung und Fortbildungsmöglichkeiten für Lehrkräfte bezieht. Die einzelnen Schulen können Anträge an den jeweiligen Schulträger (Gemeinde, Kreis, Stadt, Verein, …) stellen, der die Anträge dann an das Land weiterleitet. Das Problem: Die Personen, die bei den Schulträgern über die Verteilung des Geldes entscheiden, sind nicht angemessen ausgebildet und begreifen nicht, welche Chancen die Digitalisierung bietet. Im schlimmsten Fall bekommen die Schulen dann teure Endgeräte zur Verfügung gestellt, damit das Geld verwendet wird.
Eine zentrale Herausforderung ist die Ausbildung der Lehrkräfte – diese ist momentan noch ungenügend an die neue Situation angepasst worden. (4)
Lehrkräfte für das Gymnasiallehramt studieren im Normalfall fünf Jahre und absolvieren dann in zwei weiteren Jahren den Vorbereitungsdienst. In dieser Zeit ist es an manchen Universitäten möglich, sich mit zwei bewerteten Praxisbesuchen durchzumogeln. Das böse Erwachen folgt dann im Vorbereitungsdienst. Momentan existieren zu wenige Möglichkeiten für angehende Lehrkräfte, ihre Lehrerpersönlichkeit im Vorfeld des Vorbereitungsdienstes zu entwickeln. Das ist das eine Problem. Das andere Problem: Die Ausbildung an den Unversitäten ist ein Flickenteppich, was die Verwendung und Nutzung von digitalisierten Angeboten anbetrifft. Hier herrscht im weitesten Sinne dasselbe Problem vor wie in der Schule: Die Lehrenden sind nicht angemessen vorbereitet und geben diese Unwissenheit an die Studierenden weiter.
Die technische Ausstattung an den meisten Schulen verhindert, dass digitale Lernwerkzeuge sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden können. (5)
Dass digitalisierte Lernangebote gute Möglichkeiten bieten, um individualisiertes Lernen zu ermöglichen, ist wissenschaftlich bewiesen. Die Realität an deutschen Schulen sieht jedoch anders aus: WLAN ist nicht flächendeckend verfügbar, die Wartung und Pflege der Systeme wird oftmals von überarbeiteten IT-Lehrkräften übernommen, die dafür eigentlich sowieso keine Zeit haben. Wenn ein Smartboard irgendwo ausfällt, bedeutet das meistens das Ende des geplanten Unterrichts. Und damit auch das Ende der Individualisierung.
Ein diffuses Wissen über Datenschutz verhindert, dass Lehrkräfte progressiv und konstruktiv Plattformen wie YouTube oder Instagram im Unterricht nutzen. (6)
Mittlerweile haben viele Lehrkräfte erkannt, dass solche Plattformen durchaus einen Mehrwert bieten und nicht nur zu Unterhaltungszwecken eingesetzt werden können. Die Lehrkräfte verfügen aber über ein nicht ausreichendes Wissen, was den Datenschutz betrifft – deswegen entscheiden sie sich im Zweifel gegen eine Nutzung der Plattformen. Dürfen die Lernenden dort ihre privaten Accounts nutzen? Was ist mit den eigenen Endgeräten? Dürfen diese in der Schule verwendet werden? Auf diese Fragen müssen dringend Antworten gefunden werden.
Lehrkräfte müssen ihr antiquiertes Rollenverständnis hinter sich lassen und sich zu Lern-Coaches weiterentwickeln. (7)
Um personalisiertes und individualisiertes Lernen zu ermöglichen, muss die Lehrkraft sich von ihrem Anspruch verabschieden, alle Lernenden gleichzeitig auf dem jeweils notwendigen Niveau zu „belehren“. Auch im digitalen Zeitalter werden Lehrkräfte nicht dadurch „modern“, wenn sie in der Lage sind, ein Smartboard zu verwenden – sie müssen sich eher darauf einlassen, nicht mehr jeden Moment zu steuern und zu überwachen. Freiheit zulassen, diese produktiv nutzen und dabei auf digitalisierte Angebote wie Lernplattformen oder -software zurückgreifen – das scheint der neue Weg zu sein.
Die Pflege und Wartung der IT darf nicht durch ohnehin überlastete Informatik-Lehrkräfte durchgeführt werden. (8)
Jede Schule braucht eine eigene IT-Abteilung. Keine Organisation, die heutzutage wettbewerbsfähig bleiben will, kann auf eine IT-Abteilung verzichten. In Schulen sind jedoch meistens Informatik-Lehrkräfte dafür verantwortlich, dass „alles irgendwie läuft“. Dann hetzen sie von Raum zu Raum, reparieren und flicken, wo es nötig ist. Für ihren eigentlichen Beruf bleibt dann kaum Zeit. Das wäre anders, wenn die IT-Abteilung ausgelagert wären und sich hauptamtlich jemand darum kümmern würde.
Schule darf auch in Zeiten der Digitalisierung nicht komplett technisiert werden, sondern muss die Realität einfangen und die Lernenden darauf vorbereiten. (9)
Ein sinnvoller Umgang mit Digitalisierung setzt voraus, dass es nicht nur um Endgeräte und Software geht. Vielmehr müssen alle Beteiligten verstehen, dass die Art und Weise der Kommunikation und Kooperation sich momentan so tiefgreifend ändert wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Im Berufsleben ist das bereits Realität. In der Schule hingegen fehlt es an dem Willen, sich dieser Transformation hinzugeben und die vorhandenen Potenziale zu nutzen.
Gamification und digitale Lernmöglichkeiten sind auch nicht das Nonplusultra für einen größeren Lernerfolg der Lernenden. (10)
Die Digitalisierung sorgt vielleicht für eine bessere Vernetzung, das Allheilmittel ist sie aber trotzdem nicht. Lernende müssen nach wie vor das „Lernen lernen“ und Strategien vermittelt bekommen, um sich Wissen anzueignen. Das ist fundamental für den Erfolg der Schulen.